Meine Kommandantenzeit auf ADMIRAL SCHEER von Februar 1943 bis April 1944

(von Admiral a. D. Richard Rothe-Roth)

 

ADMIRAL SCHEER lag im Februar 1943 in Wilhelmshaven in der Marinewerft, um nach dem Einsatz im Norwegischen Raum die längst fällige Maschinen- und Waffenüberholung durchzuführen.

In den ersten Februartagen hatte der neue Kommandant, Kapitän zur See Richard Rothe-Roth, das Schiff übernommen. Die Besatzung hatte zu 50% gewechselt; von den älteren, eingefahrenen Offizieren war nur Fregattenkapitän Gruber geblieben.

Das Schiff war außer Gefechts- und Fahrbereitschaft, die Hilfsmaschinen zum Teil bei der MAN zur Überholung, die Flakartillerie nicht einsatzbereit, als Ende Februar dein schwerer Luftangriff der englischen Luftwaffe die Marinewerft traf. Es war der erste “Bombenteppich”, der über Wilhelmshaven niederging. ADMIRAL SCHEER lag im mittleren der drei Trockendocks und bildete wohl das Hauptziel des Angriffs. Ein Zerstörer, ein Tankschiff und verschiedene Hilfsfahrzeuge, die in den Nebendocks überholt wurden, fielen dem Angriff zum Opfer. ADMIRAL SCHEER erhielt einen Bombentreffer, der nicht detonierte, daher nur unbedeutenden Schaden anrichtete, aber leider einem Besatzungsangehörigen das Leben kostete. Insgesamt 11 Bomben waren in die Dockgrube bzw. auf die Zwischenwände zu den Nebendocks gefallen, meist ohne zu detonieren und nur mit geringer Splitterwirkung auf das Schiff. Das Docktor blieb unbeschädigt.

Aus der Stärke des Angriffs und der deutlich erkennbaren Schwerpunktbildung auf ADMIRAL SCHEER schloß die Seekriegsleitung, das der Standort des Schiffes dem Gegner bekannt sein mußte und neue Angriffswellen zu erwarten waren. Der Kommandant erhielt daher den Befehl, ADMIRAL SCHEER in kürzester Zeit fahrbereit zu machen, nach Swinemünde zu verlegen und dort die restlichen Werftarbeiten zu beenden. In 14 Tagen wurden die Hilfsmaschinen herangeholt, die Maschinenanlage betriebsklar gemacht, die notwendige Flakabwehr aufgestellt und anschließend Wilhelmshaven verlassen.

Die Überfahrt mit dem halb fahrbereiten Schiff, den behelfsmäßig ausgebildeten, neuen Besatzungsmitgliedern und allen technischen Mängeln der Maschinenanlage wird den damaligen Angehörigen der Besatzung noch heute in Erinnerung sein. Angefangen vom nicht anspringen der Motoren beim Einlaufen in die Schleuse in Wilhelmshaven, über das Ablenden der Feuer auf der Elbe bei Fliegeralarm, dem Versagen beider Ankerspills beim Befehl “Fallen Anker”, dem Drehen im Elbstrom bei Nacht bei gelöschten Feuern bis zum Einlaufen in Brunsbüttelskoog bei starkem Flutstrom eigentlich alle technischen Störungen vor, die man sich vorstellen konnte. ADMIRAL SCHEER erwies sich aber einmal mehr als das glückhafte Schiff und erreichte unbeschädigt seinen neuen Ausrüstungs- und späteren Liegehafen in Swinemünde.

Es war nicht einfach, die technische Einsatzbereitschaft mit den behelfsmäßigen Mitteln der Ausrüstungsstelle, ohne Dock, ohne ausreichende Krananlagen und ohne die nötigen technischen Werkstätten an Land herzustellen. Dank der vorzüglichen Zusammenarbeit mit der dortigen Werftleitung und dem aufopfernden Einsatz der Besatzung, vor allem der alten Scheerfahrer, wurde dieses Ziel in der vorgesehenen Zeit erreicht. Die Gefechtsausbildung, für die von der Seekriegsleitung sechs Wochen genehmigt waren, konnte beginnen.

Seit der Rückkehr aus dem Norwegischen Raum hatte sich die Lage auf der freien Se völlig geändert. Das Radargerät, eingesetzt von den feindlichen Luftaufklärungsverbänden, macht den Aufenthalt unserer Überwaserstreitkräfte in den bisherigen Operationsgebieten der Handelskrieg führenden Panzerschiffe und Hilfskreuzer unmöglich. Die Troß-Schiffe wurden durch Radar in kurzer Zeit aufgespürt und damit die Versorgung im abgesetzten Seeraum, fern den eigenen Stützpunkten, ausgeschaltet. Ein Einsatz des schweren Kreuzers ADMIRAL SCHEER für den Kreuzerkrieg wie in den ersten Kriegsjahren fiel damit aus. Ein gemeinsames Operieren mit den schnelleren und stärkeren Schlachtschiffen von der Norwegenbasis aus kam nicht in Frage. Erst der Rückzug der deutschen Truppen an der Ostfront brachte für ADMIRAL SCHEER wieder Kampfaufgaben bei der Deckung unserer Truppen gegen den nachrückenden Feind und zum Schutz der Absetzbewegungen aus den Stellungen an Land und den Einschiffungshäfen im Ostseegebiet. So blieben für ADMIRAL SCHEER nur Ausbildungsaufgaben und Schaffung und Erhaltung der Kampfkraft des Schiffes für kommenden Einsatz.

Eine Gefechtsbereitschaft wurde in der befohlenen Zeit hergestellt. Diese Leitung war ein Beweis für den Kampfgeist, die gute Disziplin und den Einsatzwillen jedes einzelnen Besatzungsmitgliedes. Doch bald traten neue Anforderungen an das Kommando heran. Es galt, den Offiziersnachwuchs auszubilden und den jungen Kadetten die in Stralsund ihre Grundausbildung abgeschlossen hatten, auf Frontschiffen die erforderlichen Kenntnisse auf seemännischen und technischen Gebiet zu vermitteln. Hand in Hand damit ging ein dauerndes Auskämmen des Offiziers- und Unteroffizierskorps nach erfahrenem Personal für andere im Fronteinsatz befindliche Einheiten, besonders für die U-Bootswaffe. ADMRAL SCHEER hatte zeitweise 500 Kadetten an Bord, die, in Planstellen eingesetzt, in wenigen Monaten ihre Frontausbildung und die Gefechtsbereitschaft erhalten mußten. Es ist ein Ruhmesblatt für die damalige Jugend, mit welcher Selbstverständlichkeit und Hingabe sie sich dem Dienst für das Vaterland unterordnete.

Ein Schatten fiel bei dem Großangriff der alliierten Luftwaffe auf Hamburg auf die Besatzung, von der 30% durch Tod, Verletzung oder Ausbombung von Familienangehörigen oder Verwandten betroffen wurde. Das Einlaufen in Kopenhagen und ein anschließender Aufenthalt von mehreren Tagen gab den angespannten Nerven eine gewisse Entlastung. Dänemark hatte seine Währung behalten, die Geschäfte zeigten friedensmäßige Auslagen und “Tivoli” war voll in Betrieb. Devisen und dänische Kronen gab es nicht, aber die “Zigarettenwährung” war ein guter Ersatz, um Speck, Eier und Butter einzuhandeln.

Noch einmal bewies ADMIRAL SCHEER sein buchstäbliches Glück, als das Schiff rechtzeitig aus Gotenhafen auslief und in See den Kurs der auf den Hafen anfliegenden Verbände kreuzte. Der verlassene Liegeplatz wurde mit Bombentreffern übersät; das vor dem Liegeplatz liegende Lazarettschiff STUTTGART versenkt.

So ging das Jahr dahin mit Ausbildungsaufgaben für Offizier und Mann, Gestellungen für Artillerie- und Torpedoschießlehrgänge, Manöver im Rahmen des Ausbildungsverbandes der Flotte und steter Erhaltung der Gefechtsbereitschaft des Schiffes für Kampfaufgaben, die sich in nächster Zukunft abzeichneten.

Es war kein Messen mit gegnerischen Überweiser- oder Luftstreitkräften, aber der stete Ausbildungsdienst unter kriegsmäßigen Verhältnissen, der laufende Personalwechsel und das dauernde Bemühen, die Kriegsbereitschaft zu erhalten, bzw. in Kürze wieder herzustellen, verlangten höchste Anforderungen an Disziplin und Opferbereitschaft.

Die Besatzung ADMIRAL SCHEER hat, treu ihrer Tradition, auch diese Aufgaben mit Erfolg gemeistert.

 


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